Žizek I: Der Coronavirus – ein hollywoodreifer Todesschlag gegen den Kapitalismus?

Dieser Post ist ein Teil der Coronavirus und die Philosophie Serie. Einen Überblick über die weiteren Teile dieser Blogbeitragsserie gibt es hier.

Wenn es um aktuelle News-Ereignisse und Philosophie geht, dann darf natürlich einer nicht fehlen, und dass ist Slavoj Žizek. Žizek ist immer schnell zur Stelle über alle möglichen Ereignisse längere Interviews zu geben und natürlich auch Texte zu verfassen. Die weltweite Pandemie von Covid-19 ist hier natürlich alles andere als eine Ausnahme. Mittlerweile hat Žizek schon mindestens zwei Texte zum Coronavirus verfasst, in diesem Beitrag werde ich mich zunächst mit seiner ersten also frühesten Reaktion auseinandersetzen. Den aktuelleren Text werde ich in einem späteren Teil der Blogpostserie zusammenfassen und kommentieren.

Am 27.Februar 2020, also am selben Tag an dem Jean-Luc Nancy auf den am Tag davor erschienen Kommentar von Giorgio Agamben zu Corona reagierte, publizierte Slavoj Žizek seinen ersten Text über den Coronavirus auf einer seiner oft für Publikationen verwendeten Plattform RT.  Der Titel des Texts referenziert, wie für Žizek üblich auf Hollywood: Coronavirus is ‘Kill Bill’-esque blow to capitalism and could lead to reinvention of communism.

Reinvention of communism’ statt ‘Obszönität des Kapitalismus’?

In diesem kurzen Text betont Žizek ganz anders als Agamben und einige andere, vor allem die Chance die eine Krise dieses Ausmaßes mit sich bringt, im Kampf gegen das aktuelle kapitalistische System. Ungewohnt optimistisch könnte in Žizeks Augen der Coronavirus die Möglichkeit eröffnen, den alltäglichen Wahnsinn des globalen Kapitalismus für mehr Menschen sichtbar und begreifbar zu machen und damit auch ermöglichen eine neue Idee von Kommunismus zu kreieren. Žizek und noch mehr Badiou arbeiten schon seit vielen Jahren an dieser Idee: der „reinvention of communism“ wie sie es nennen, einer neuen Konzeption, die die Stärken der Idee Kommunismus ins 21. Jahrhundert übersetzen und dabei aus früheren Iterationen der Idee und deren Fehlern lernen soll. Die Pandemie, so Žizek, könnte die Katastrophe sein, die wir „brauchen“, Menschen also näher zusammenbringen obwohl sie räumlich getrennt werden. Vorfälle rund um den Coronavirus führen auch, so Žizek weiter, die Absurdität und „Obszönität“ z.B. von Kreuzfahrtschiffen vor Augen, also vor allem den ökologischen Wahnsinn des kommerziellen Tourismus besonders eben im ehemals boomenden Kreuzfahrt-Sektor. Bezogen auf aktuellere Meldungen könnte dies vielleicht auch für den kommerziellen Massentourismus rund um die Skisport-Industrie in den Alpen gelten. 

Plus we should also not be afraid to note some potentially beneficial side effects of the epidemic. One of the symbols of the epidemic is passengers caught (quarantined) on large cruise ships – good riddance to the obscenity of such ships, I am tempted to say.

Kapitalistischer Animismus

Auch das was Žizek den „kapitalistischen Animismus“ nennt, zeigt sich abermals in dieser Krise besonders deutlich, geht es doch in so manch einer News-Sendung oft mehr darum wie „nervös die Märkte“ sind, als um die Nervosität der Menschen. Anstatt regulierend einzugreifen wird dann versucht den Markt zu ‚beschwichtigen‘, zu ‚beruhigen‘ und später dann wieder zu ‚beleben‘. Auch wenn Žizek sich eigenartigerweise „überrascht“ von der vermeintlichen Rückkehr oder Widererstarkung dieses Phänomens zeigt, muss man vielmehr fragen ob diese Absurdität in den letzten Jahrzehnten überhaupt jemals weg oder schwächer war. Diese Sprachbilder sind schon lange mehr als bloße Metaphern, sondern beschreiben vielmehr eine wirtschaftspolitische Realität. Denn es wird suggeriert, dass der Finanzmarkt eben nicht reguliert werden kann, sondern wie ein wildes Tier vorsichtig behandelt, nicht gestresst und nicht zu viel kritisiert werden darf. Der Markt handelt dabei jedoch weder wie ein wildes Tier noch wie ein rationaler Akteur, vor allem weil es trotz globalisierten Welthandels nicht Sinn macht von „dem Markt“ zu sprechen als gäbe es hier so etwas wie ein einheitliches Subjekt. Ob Žizeks Hoffnung, dass der Coronavirus als Zeichen aufgenommen wird hier eine große Neuorganisierung zu starten, bleibt bestenfalls abzuwarten.

Another weird phenomenon that we can observe is the triumphant return of capitalist animism, of treating social phenomena like markets or financial capital as living entities. […] Does all this not clearly signal the urgent need for a reorganization of the global economy which will no longer be at the mercy of market mechanisms?

Kill Bill – oder wie auf das ‚Herz‘ des Kapitalsimus schlagen? 

Es wäre kein Žizek-Text wäre er nicht prominent durchzogen von einer Filmanalogie. Diesmal ist es die “Five Point Palm Exploding Heart Technique” aus Kill Bill von Quentin Tarentino, jener komplexe Martial-Art-Schlag, der seine Wirkung erst nach 5 Schritten entfaltet, denn ‚erst‘ dann explodiert das Herz. Davor jedoch kann der Antagonist des Films, Bill, noch in aller Ruhe seine Situation reflektieren und sein finales Gespräch mit der Protagonistin, Beatrix, zu Ende führen. Ob solch ein Schlag gegen den Kapitalismus hilft, der selbst – denn wir wollen doch nicht den kapitalistischen Animismus reproduzieren – kein Herz hat, sei dahingestellt. Žizek dazu:

My modest opinion is much more radical: the coronavirus epidemic is a kind of “Five Point Palm Exploding Heart Technique” attack on the global capitalist system – a signal that we cannot go on the way we were up until now, that a radical change is needed.

Žizeks referenzierter “Five Point Palm Exploding Heart Technique” aus Kill Bill von Quentin Tarentino 

Welches Wir?

Die Idee dass es eine weltweite und ernste Krise braucht um Veränderungen herbeizuführen ist eine, die viele verschiedene Denker*innen, der verschiedensten Überzeugung, vertreten. Žizek referenziert auf Frederic Jameson, der in diesen Krisen auch die Chance auf einen neuen „Wir“ Begriff sieht und eine neu aufflammende Solidarität. Žizek verortet in der Krise des Coronavirus nun eben genau so eine Chance auf einen radikalen Geisteswandel. Doch so schön diese Erzählung sein mag, und sich in hollywoodesken Narrativen auch immer wieder als Happy End entfaltet, so kritisch muss man doch diese zu einfach wirkende Erzählung hinterfragen. In einer Zeit der verstärkten Grenzziehung, des Mordens und Wegschauens an den europäischen Außengrenzen im Namen des Gesetzes und der ‚Ordnung‘, so scheint leider auch im Kampf gegen den Virus vor allem ein „Wir“ dominant zu sein, das „nationale Wir“. Žizek zitiert dabei zustimmend den iranischen Minister Harirchi, der selbst an Covid-19 erkrankte, und der sagte: “This virus is democratic, and it doesn’t distinguish between poor and rich or between statesman and an ordinary citizen.” Das gerade Žizek so einem Satz zustimmt ist doch verwunderlich. Weder der Virus noch andere globale Krisen, wie die Klimakrise z.B., betreffen alle Menschen gleich. Klassengegensätze, rassistische und sexistische sowie auch ableist biases wirken auch hier massiv. Wer sich in seine Wohnung zurückziehen kann und in Home-Office ohne Gehaltsverlust und womöglich mit weniger „Arbeitsstress“ noch mehr „Zeit für sich“ hat, und wer mehr Arbeit und mehr Risiko der Ansteckung hat, oder stattdessen den Arbeitsplatz verliert und/oder massiven Einkommensverlust verzeichnet, oder wer eben gar keine Wohnung zum Rückzug hat, all dies sind Faktoren, die abermals Unterdrückungsverhältnisse und Ungleichheiten auch vor dem Virus wiederspiegeln. Wir sind nicht alle gleich vor dem Virus oder dem Klimawandel, sondern vielmehr noch ungleicher, noch privilegierter oder noch ausgesetzter und prekärer. Diese Krisen reproduzieren nicht nur gesellschaftliche und globale Ungleichheiten sondern verstärken sie noch massiver. 

Ob der Coronavirus nun eine “Five Point Palm Exploding Heart Technique” gegen den Kapitalismus ist und der finale Schlag, das sei in seiner Unwahrscheinlichkeit dahingestellt. Dass die plötzliche Veränderung unserer Gewohnheiten, der Mobilität und der Arbeit, usw. eine Revalorisierung bestimmter Berufe (Stichwort: 35 Stunden im Sozialbereich), aber auch all jener Berufe die für das Aufrechterhalten einer Infrastruktur notwendig sind, herbeiführen kann, und auch zeigt, was bisher Denkunmöglich schien, nämlich dass klimaschädliche Industrien sehr schnell reduziert werden können, kann positiv gesehen werden. Doch für eine wirkliche und nachhaltige transversale Solidarität, eine Solidarität mit Refugees, mit den vom Klimawandel betroffenen Regionen, eine Solidarität mit nicht-menschlichen Lebewesen also eine Solidarität über die eigenen vier Wände hinaus, braucht es einen tiefgreifendes Umdenken und nachhaltiges Handeln, nicht ein paar Wochen Krise und Angst vor einem Virus. Die Hoffnung sozialen Wandel durch Natur- und sonstige Katastrophen herbeizuführen ist eine alte, aber so bin ich überzeugt, solch ein Wandel soll und kann kein rein reaktiver sein, sondern muss ganz im Gegenteil aktiv gewählt und erkämpft werden um nachhaltig zu sein.

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