Vorweg: Everyday Rebellion ist nicht bloß ein Film, sondern wurde zu einer Plattform, auf der Videos hochgeladen, Bücher runtergeladen und Kommunikation stattfinden kann, soll und mittlerweile auch tut. Siehe Everyday Rebellion
Der Film ist ab heute 21. März in den österreichischen Kinos, nähere Infos dazu gibts hier.
„We are ordinary people. We are like you: people, who get up every morning to study, work or find a job, people who have family and friends. People, who work hard every day to provide a better future for those around us.”
Diese Worte also den Anfang des Manifests der Indignados, aus dem Off flüsternd, beginnt der Film Everyday Rebellion. Sanft und leise wird in Bild und Ton die Vielstimmigkeit der aktuellen Sozialen Bewegungen gezeigt, die unterschiedlichen quer über die Welt verstreuten Orte des Protests, die Protestierenden, die aus den verschiedensten Schichten und politischen Hintergründen stammen, die Verschiedenheit der politischen Realitäten denen sich die Protestierenden in ihren Ländern gegenübergestellt sehen. Diese Vielheit, diese Unterschiedlichkeit beschrieben, gesprochen von einer anonymen flüsternden Stimme, verweist gleich zu Beginn auf die Botschaft, den Stil und die Absicht dieses wunderbar unterhaltsamen wie gleichermaßen aufrüttelnden Filmes hin.
Das alltägliche Rauschen der Rebellion
Denn es ist ein Film der vielen Gesichter, der unterschiedlichen Schauplätze, der verschiedensten Proteste und Sozialer Bewegungen und doch der Film einer Geschichte, einer großen Erzählung wenn man so will, ein Film vom gewaltlosen Widerstand im 21. Jahrhundert. Fünf Jahre reisten die Riahi Brothers um die Welt und begleiteten Soziale Bewegungen und einzelne Protestierende, Intellektuelle wie von Zwangsmaßnahmen Betroffene, kurz AktivistInnen bei ihrem Kampf für (mehr) Demokratie und Freiheit. Ganz ohne erzählende und (ein)ordnende Stimme reihen die Filmemacher Szenen des Protestes, vom besetzen Platz über künstlerische und mediale Protestaktionen bis zur allgegenwärtigen Repression, aneinander. Dieses ständige herumspringen von Bewegung zu Bewegung dynamisiert nicht nur den Film, sondern vermittelt noch vielmehr die über dem Film schwebende Botschaft, dass trotz der offensichtlichen Differenz der unterschiedlichen Kämpfe doch eine radikale Gemeinsamkeit dieser Kämpfe besteht. Diese Gemeinsamkeit ist nicht bloß der Einsatz friedlicher Mittel, auch nicht nur der massive Einsatz neuer Technologien und die ähnlichen Methoden des Protestes, die radikale Gemeinsamkeit ist vielmehr die Akzeptanz der Heterogenität, der Unterschiedlichkeit des gemeinsamen Protests, nicht nur der Heterogenität zwischen der ARebellion und Occupy sondern auch der Heterogenität und Vielheit in einer Bewegung, auf einem Platz bei einer Demo. Die unvermittelten Sprünge von Bewegung zu Bewegung erzeugen eine gewisse Gleichzeitigkeit, einer ständigen Revolution, eines andauernden Protestes, die sich in den vielen verschieden Bewegungen weltweit wie in der gegenseitigen Solidarität und dem dauernden Bezug aufeinander abzeichnet, schlicht einer heterogenen alltäglichen Rebellion.
Schnell wird die flüsternde Stimme vom Beginn durch andere Stimmen, mal schreiend – sei es aus Wut, aus Überzeugung oder auch aus Schmerz als Folge von Repression – mal lachend, mal gemeinsam die Rede einzelner wiederholend (human mic), mal analysierend, mal gegen Regierungen und mal gegen AktivistInnen gerichtet und schließlich auch mal verstummt, unterdrückt, scheinbar verschwunden. Doch was der Film eindrucksvoll vermittelt, ist dass es nicht nur um die Vielstimmigkeit der Proteste geht, sondern noch viel mehr um die, die gar keine Stimme haben, die die nicht gehört werden und die die nicht reden dürfen. Protest – das zeigt der Film – ist vielfältig und benötigt nicht unbedingt starke Stimmen. Das Klicken der flackernden Lichter in Teheran, das blecherne Klopfen der Töpfe am Global Noise Day in Madrid, Stille wo sonst reges Treiben herrscht oder auch das fast unscheinbare Geräusch kleiner mit Botschaften bemalter hüpfender Tischtennisbälle in Syrien – die Rebellion, genauso wie dieser Film klingt vielfältig. Das Rauschen des Protestes, das sich auf akustischer wie auch auf bildlicher Ebene durch den ganzen Film zieht, macht diesen Film zu einem unverzichtbaren und in dieser umfassenden wie poetischen Form auch noch unterhaltsamen Dokument der Sozialen Bewegungen unserer Zeit.
EVERYDAY REBELLION / Official Trailer (Deutsch) from Everyday Rebellion on Vimeo.
Gewalt?
So klar die Botschaft des Films ist und auch dargelegt wird, so verschwommen bleiben dabei manche Fragen. Dieses eindrucksvolle Plädoyer für non-violent-protest, dass die verschiedensten Methoden von Kommunikationsguerilla über friedliche Platzbesetzung zu kreativen und medienwirksamen Protest beleuchtet, wirkt streckenweise fast wie ein Werbefilm, und wollen ja auch überzeugen und anleiten. Zwar werden durchaus auch die Probleme, Risiken und Gefahren des gewaltlosen Widerstandes, der sich gegen repressive Diktaturen wendet besprochen und auch dargestellt, und doch werden – so scheint mir – ganz bewusst bestimmte Proteste ausgeblendet, weil sie nicht in das farbenfröhliche Bild passen, das gezeichnet werden soll. Nicht nur werden bestimmte Aufstände und Proteste wie die Straßenkämpfe von London z.B. ausgelassen und bleiben unerwähnt, auch Teile der dargestellten Bewegungen, die Methoden anwenden, die als gewaltvoll eingestuft werden können, tauchen schlicht und einfach nicht auf. So faszinierend der Film gewaltlosen Widerstand darstellt, so wenig wird jedoch eigentlich über die Frage von Gewalt und deren Legitimität, eine sehr schwierige und komplexe Frage, selbst gesprochen. Von allen interviewten Personen, von einer Professorin für gewaltlosen Widerstand bis zu den Yes Men und anderen AktivistInnen wird stets vorausgesetzt, dass Gewalt grundsätzlich abzulehnen ist, kein geeignetes Mittel darstellt und die Situation stets nur verschlimmert. Untermauert werden diese Aussagen durch den empirischen Befund, dass gewaltlose Bewegungen mit höherer Wahrscheinlichkeit siegen als gewalttätige, wie nützlich solche Untersuchungen in konkreten Kämpfen sind sei dahingestellt. Wo beginnt allerdings die Gewalt. Beginnt sie bei der Verletzung von Menschen, oder ist Zerstörung oder Beschädigung von (privaten oder öffentlichen) Eigentum – wie das Anzünden von Autos, das Umsägen von Kreuzen oder das Sprühen von Graffitis Gewalt, oder ist nicht auch schon die Besetzung eines Platzes oder eines Bankfoyers eine Form von Gewalt? Nicht nur sind hier die Grenzen fließend, auch ist es immer eine Frage der Perspektive, denn staatliche, repressive Autoritäten stufen viele der gewaltlosen Methoden die im Film dargestellt werden völlig selbstverständlich als Gewalt ein.
Die bedingungslose Ausblendung von gewalttätigen Gruppen, Protesten und Bewegungen wird vor allem dadurch problematisch, dass in vielen Statements gewaltlose Aktionen nicht nur als effektiver sondern auch als kreativer, interessanter, schlicht intelligenter beschrieben werden, und Gewalt hier vollkommen auf repressive Staatsbehörden reduziert wird. Dies verstärkt in meinen Augen, dass sowieso vorherrschende Bild, dass gewalttätige Proteste bloß dumm und stumpf wären. Weder ist jedoch jede gewalttätige Aktion a priori abzulehnen (manche, wie z.B. gewalttätiger Widerstand gegen die Nazis, werden später schließlich als rechtens und ethisch richtig gewertet), noch darf das Bild von Gewalt als stumpfsinnig reproduziert werden. Ausgelassen wird dabei, dass manche Menschen oft gar keine andere Möglichkeit sehen als einen gewalttätigen Aufstand, was nicht heißt dass dies immer gerechtfertigt wäre, noch dass dies immer beurteilbar sei, sondern schlicht dass es kontraproduktiv erscheint Marginalisierten Menschen vorzuwerfen, dass ihre Form Widerstand auszuüben und zu protestieren oder schlicht sich zu wehren, gegen die alltägliche Unterdrückung und Willkür, einfach weniger kreativ und nicht so schlau wie unser kreativer Straßenprotest sei. Deswegen erscheint mir eben auch das eigentliche Ziel des Films, nämlich die Vielfältigkeit und Stärke von gewaltlosem Widerstand aufzuzeigen und die Alternativen zu Gewalt stark zu machen, natürlich umso dringender.
Der Film will einen Denkanstoß geben, eine Botschaft vermitteln, die besagt, dass gewaltloser Widerstand immer und überall notwendig ist und auch der (vermeintlich) bessere Weg zu sein scheint. Diese Message konsequent verfolgend – und dass muss dem Film umso höher angerechnet werden – schrecken die Filmemacher auch nicht davor zurück, gewaltlosen Widerstand in einem Kriegsgebiet wie Syrien zu zeigen. Auch die durchaus unangenehmen Folgen von Protest – Todesopfer, Repression, Gefängnis – werden dargestellt, und dabei wird die unglaubliche Stärke dieser AktivistInnen deutlich, die selbst im gewalttätigsten Umfeld an ihrer Philosophie der Gewaltlosigkeit festhalten. Von den vielen wichtigen und schönen Dingen die dieser Film zeigt, ist es diese absolute Entschlossenheit der AktivistInnen, diese totale Überzeugung, die am eindrucksvollsten in Erinnerung bleibt.
Must-See
Obwohl der Film durchaus dramatische, verstörende und erschreckende Bilder zeigt, überwiegt die Leichtigkeit des Films, die Freude am Protest, die Notwendigkeit des Protests. Ein feel-good-Film (an manchen Ecken wohl zu geschönt) über die alltägliche Revolution, über den dauernden Widerstand und über die Vielheit der Bewegungen selbst, der Methoden wie der Proteste weltweit. Darin liegt auch der hohe Unterhaltungswert des Films, Unterhaltung, die motiviert, aufrüttelt, amüsiert aber auch mal schockiert, Unterhaltung jedenfalls, die hochintelligent und politisch wertvoll ist. Die Riahi Brothers haben mit Everyday Rebellion eine Collage geschaffen, die basierend auf hunderten, tausenden Stunden Filmmaterial, ein Stimmungsbild der weltweiten Protestbewegungen einholt, und poetisch wie faszinierend gleichermaßen das Rauschen der Sozialen Bewegungen unserer Zeit in einer Dichte präsentiert, wie es zuvor noch nicht gelungen ist. Dieser Film ist wohl einer der besten, wenn nicht der beste Film über Soziale Bewegungen und gewaltlosen Widerstand im 21. Jahrhundert und daher sollte unbedingt jede Gelegenheit genützt werden, diesen wundervollen Film im Kino zu sehen.
Uneingeschränkte Empfehlung meinerseits!
Und zur Einstimmung hier noch ein längerer Trailer:
EVERYDAY REBELLION — TRAILER 1 from Everyday Rebellion on Vimeo.
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