Simulierte Authentizität – Von der Personalisierung der Politik und den PolitikerInnen als Schauspielstars

Dieser Post ist Teil der Serie Vom Sinn und Unsinn des Wahlspektakels im Zeitalter der Postdemokratie

Eine fragmentarische Annäherung

Die Phänomene die in dieser Blogpostserie insbesondere im letzten Beitrag zur Inszenierung und Simulation des Politischen beschrieben worden sind, verweisen unter anderem auch auf eine Entwicklung hin zur massiven Personalisierung der Politik. In diesem Wahlkampf wie auch schon in den Wahlkämpfen davor war diese Konzentration auf die Personen und insbesondere auf die Gesichter der SpitzenkandidatInnen offensichtlich. Dabei genügt es nicht mehr Parteien und ihre Wahlprogramme, politischen Positionen und Inhalte auf eine einzige Person zu konzentrieren, es muss darüber hinaus diese Person auch noch zum Politroboter gemacht werden, einem Politroboter der aber in jedem Interview, in jedem Bierzelt und in jeder Homestory Authentizität vermitteln kann – selbstverständlich ohne jemals aus der Rolle zu fallen. 

Claude Lefort – über dessen Thesen zur Demokratie hier schon geschrieben wurde – verwies darauf, dass die Personalisierung der Politik eigentlich ein Charakteristikum von Diktaturen und alten monarchistischen Systemen, schlicht von totalitaristischen Systemen sei, weshalb für Lefort der Platz der Macht in der Demokratie eben auch notwendigerweise leer bleiben muss, also nur temporär eingenommen werden darf, das politische Personal stets ausgetauscht werden muss – hauptsächlich durch die Wahl. Doch trotz einer Fluktuation im politischen Personal erleben wir diese massive Konzentration auf einzelne Personen, die auf Schritt und Tritt beobachtet werden. Diese Politroboter müssen notwendigerweise Stehsätze auswendig lernen um bei den zig Interviews pro Tag immer eine ähnliche Linie zu vertreten, was dazu führt, dass immer mehr Sendungen versuchen hinter die Fassade der PolitikerInnen zu dringen, um uns den Mensch hinter der Position zeigen zu können. Was hier jedoch übersehen wird ist, dass mit Baudrillard radikal formuliert der Mensch hinter der Fassade verschwunden ist. PolitikerInnen müssen – mal erfolgreicher mal weniger erfolgreich – ihre Rolle so inkorporieren, dass sie nicht mehr aus der Rolle fallen können. In den folgenden Fragmenten werden Gefahren und Folgen dieser Entwicklung angesprochen. Dabei können wir feststellen, dass diese Entwicklung alles andere als neu ist, denn bereits Walter Benjamin hat in seinem Kunstwerkaufsatz – in dem er in eindrucksvoller Art und Weise darstellt wie die Aufnahmeapparaturen und die „technische Reproduzierbarkeit“ Kunstwerk wie KünstlerInnen (insbesondere SchauspielerInnen) verändert – in einer Fußnote auf die Gefahren der Medialisierung der Politik, auf die Gefahren der Demokratie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit verwiesen, und diese Warnungen sind wohl heute aktueller denn je zuvor.

Die hier konstatierbare Veränderung der Ausstellungsweise durch die Reproduktionstechnik macht sich auch in der Politik bemerkbar. Die Krise der Demokratien lässt sich als eine Krise der Ausstellungsbedingungen des politischen Menschen verstehen. Mit den Neuerungen der Aufnahmeapparatur, die es erlauben, den Redenden während der Rede unbegrenzt vielen vernehmbar und kurz darauf unbegrenzt vielen sichtbar zu machen, tritt die Ausstellung des politischen Menschen vor dieser Aufnahmeapparatur in den Vordergrund. Es veröden die Parlamente gleichzeitig mit den Theatern. Rundfunk und Film verändern nicht nur die Funktion des professionellen Darstellers sondern genauso die Funktion dessen, der, wie es der politische Mensch tut, sich selber vor ihnen darstellt. Die Richtung dieser Veränderung ist, unbeschadet ihrer verschiedenen Spezialaufgaben, die gleiche beim Filmdarsteller und beim Politiker. Sie erstrebt die Ausstellung prüfbarer, ja übernehmbarer Leistungen unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen, wie der Sport sie zuerst unter gewissen natürlichen Bedingungen gefordert hatte. Das ergibt eine neue Auslese, eine Auslese vor der Apparatur, aus der der Champion, der Star und der Diktator als Sieger hervorgehen. (Benjamin, 332).

Auch andere AutorInnen, wie z.B. Colin Crouch, dessen Analyse zur Postdemokratie noch näher untersucht werden wird, weisen auf die zunehmende Personalisierung als ein zentrales Charakteristikum der Postdemokratie hin:

Der Verfall der politischen Kommunikation hat noch eine weitere Form angenommen: die wachsende Personalisierung der Politik und der Wahlen. Ausschließlich auf einzelne Persönlichkeiten fokussierte Kampagnen waren gewöhnlich ein Kennzeichen von Diktaturen und von Wahlen in Gesellschaften mit schwach entwickelten Parteien- und Diskussionssystemen. Trotz gelegentlicher Ausnahmen (wie etwa Konrad Adenauer und Charles de Gaulle) war diese Form der Personalisierung während des demokratischen Augenblicks weit weniger verbreitet. (Crouch, 38f).

PolitikerInnen sind weitere Sternchen am ach so bunten Starhimmel der Spektakelgesellschaft. PolitikerInnen werden zu „hyperrealen Medienfiguren“, die 

an realen Personen anknüpfen und sie in einem semiotischen Prozess zu Zeichen transformieren, an denen sich Diskurspositionen festmachen lassen. Die realen Körper und Biographien sind dabei Mittel zur Visualisierung und der Authentizitätsgenerierung, aber entscheidend ist jeweils, welche Bedeutungen, Werte und Sinnmuster sich im politischen Unterhaltungsdiskurs an diese Figuren anlagern. (Dörner, 126).

Wenn die Politik zu einem reinem Theater verkommt, so ist es nur die logische Konsequenz, dass PolitikerInnen eben auch zu SchauspielerInnen werden müssen, allerdings solchen, die ihre Rolle nicht mehr ablegen dürfen, die zu ihrer Rolle werden müssen, um ständige Authentizität simulieren zu können. Dass daran so manch ein Politiker zerbricht scheint zum Spiel der inszenierten Politik dazuzugehören. Besonders Politikerinnen, die in der Beurteilung ihres Körpers gleichermaßen wie ihrer Fähigkeit Familie mit dem Beruf zu verbinden, unter einer weit größeren medialen Beobachtung und damit einem schier unerträglichen Druck stehen werden dabei besonders oft persönlich attackiert. Gescheiterte Persönlichkeiten werden dann neben den anderen öffentlich Gescheiterten der massenmedialen Welt in den Klatschspalten des Boulevards verurteilt.

Er [Politiker] darf nicht seine Rolle spielen und dann abtreten, er muss spielen, dass er sie sei, und zwar gerade in den scheinbar privatesten Momenten, sofern sie für die öffentlichen Bildberichter erreichbar scheinen. (Meyer, 95).

Diese Inszenierung muss heutzutage natürlich auch in das Web 2.0 getragen werden, denn auch dort zählt vor allem Authentisches, dass diese vermeintliche Authentizität allermeistens vor allem streng inszeniert ist, ist leider nicht immer allen klar.

Die Welt des Web 2.0 ist voll von peinlichen PolitikerInnen Statusmeldungen, faden Verlautbarungen im Pressemeldung-Stil und ostentativer Unechtheit. Wer kein Gefühl dafür hat, was authentisch wirkt (was nicht unbedingt heißt: tatsächlich authentisch ist), der wird sich leichter lächerlich machen, als für sich etwas Nützliches zu erreichen. Man muss große Gefühle mobilisieren, mal mit Energie überzeugen, dann aber wieder über sich selbst lachen können – Lakonisches muss mit Pathetischem wechseln, wer allzu oft rein strategisch postet, verliert an Glaubwürdigkeit, und wer nichts Privates hergibt, der erscheint nicht ‚wirklich’ präsent. (Misik, 104).

Dass dieses hier dargelegte System viele exkludiert oder aussortiert, und dass daher vielfach nur ganz bestimmte Menschen, ganz bestimmte „Typen“ an PolitikerInnen „nach oben“ kommen, weil sie ihre Selbstinszenierung und ihre Selbstvermarktung leider nur allzu perfekt beherrschen, kann allseits beobachtet werden. Medial optimal vermarktbare, oder vom Markt zurechtgeschnittene PolitikerInnen sind nahezu überall zu finden. Vom Medienzar Berlusconi, der Inszenierung in der Postdemokratie, auch weil er einen Großteil der Medien selbst besitzt, perfekt beherrschte, zumindest bis vor einigen Jahren, bis hin zu den PolitikerInnen die besonders in den sozialen Medien erfolgreich agieren, wie dies Obama in seinem ersten Wahlkampf tat. In Österreich muss man hier auch an die allzu erfolgreichen Rechtspopulisten Haider und Strache (wenn auch mehr rechts als populistisch) denken, die Selbstinszenierung zum nahezu einzigen politischen „Inhalt“ ihrer Wahlkämpfe gemacht haben. Dass diese Mechanismen vielleicht eben nicht immer die besten PolitikerInnen befördern sondern wie zuvor beschrieben, vielmehr bestimmte, sehr egozentrische Charaktere nach oben spülen, hatte auch schon Debord in seinen Analyse zur „Gesellschaft des Spektakels“ festgestellt:

Es ist wohl bekannt, dass die bewundernswerten Leute, in denen sich das System personifiziert, nicht das sind, was sie sind; sie sind große Männer geworden, weil sie unter die Realität des bescheidensten individuellen Lebens herabgesunken sind, und jedermann weiß das. (Debord, 50).

Vom Sinn und Unsinn des Wahlspektakels im Zeitalter der Postdemokratie

Weitere Kapitel

Einleitung samt Inhaltsverzeichnis

Claude Lefort und die Demokratie als Schaukampf

Demokratie als Simulacrum – der Wahnsinn des Wahl-Spektakels

Der Begriff der Postdemokratie – eine Einführung

Postdemokratie bei Colin Crouch

Politik, Polizei, Postdemokratie — Jacques Rancière

Literatur

Benjamin, Walter (1996): „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit [Zweite Fassung] (1935/36)“. In: ders.: Ein Lesebuch. Frankfurt/M: Suhrkamp, S. 313 – 347.

Crouch, Colin (2008): Postdemokratie. Frankfurt/M: Suhrkamp.

Debord, Guy (1996): Die Gesellschaft des Spektakels. Berlin: Edition TIAMAT.

Dörner, Andreas (2001): Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft. Frankfurt/M: Suhrkamp.

Meyer, Thomas (1998): Politik als Theater. Die neue Macht der Darstellungskunst. Berlin: Aufbau-Verlag.

Misik, Robert (2011): „yes, We can! Was uns die Obama-Kampagne über Wahlkämpfe und für soziale Bewegungen lehrt“. In: Voigt / Kreiml (Hg.): Soziale Bewegungen und Social Media. Handbuch für den Einsatz von Web 2.0. Wien: ÖGB-Verlag, S. 99 – 106. (online zu lesen)

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[…] Crouch beschreibt etwas einfacheres, er will analysieren, warum eine allgemeine Passivität, eine politische Frustration eingesetzt hat, die BürgerInnen immer weniger politisch aktiv werden, nicht mehr zur Wahl gehen, etc. Crouch beschreibt also eben den Verfall der Demokratie. Ein wesentliches Element dieses Verfalls ist der gestiegene Einfluss von Lobbys und PR-Experten sowie von Korruption. Die neoliberale Wirtschaftsideologie hat die politische Logik übernommen. Statt Inhalten setzen die Parteien auf fotogene SpitzenkandidatInnen, die nur dazu da sind in populistischen Ein-Satz Statements zu sprechen, um als O‑Ton in die Nachrichten zu gelangen. „Wir haben uns daran gewöhnt, dass Politiker nicht wie normale Menschen sprechen, sondern aalglatte, ausgefeilte Statements von sich geben, die einen ganz eigenen Charakter haben.“ (36). Diese mehr oder weniger “charismatischen” KandidatInnen rücken ins Zentrum der Politik, ihr Körper (von den leidigen Sexeskapaden Berlusconis über Schröders gefärbte Haare und Grassers Badehosen) und auch ihr Privatleben sind ständiges Thema zwischen Image- und Schmutzkübelkampagnen. (näheres dazu in meinem Blogpost: Simulierte Authentizität – Von der Personalisierung der Politik und den PolitikerInnen als Schaus…) […]

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