Occupy the Rhizome – was blieb von Occupy Wall Street 2 Jahre danach

As this second anniversary of Occupy passes, perhaps with raging flames, perhaps with only a few sparks, we can take solace in one thing: Our current global system – capitalism – is in terminal decline […]and most important, we focus our eyes on the horizon and wait for our next moment to come.” ADBUSTERS — Manifesto 2 Years after Occupy

Vor einigen Tagen feierte die #occupy Wall Street Bewegung (#OWS) ihren 2. Jahrestag, denn am 17. September 2011 begannen die Demonstrationen und die Besetzung des Zucotti-Parks. Die Occupy-Bewegung hat nach den ersten Tagen, in denen die Bewegung medial kaum wahrgenommen wurde, eine enorme weltweite Resonanz provoziert und wurde in zahllosen Städten (nicht nur in den USA sondern auch in Europa und darüber hinaus) als Anlass genommen lokale Occupy-Bewegungen zu initieren und Parks, Straßen oder Plätze in der eigenen Nachbarschaft zu besetzen, Versammlungen abzuhalten, usw. Es soll hier in diesem Blogpost jedoch keinesfalls darum gehen die Ereignisse der OWS nachzuerzählen, das wurde an vielen Stellen bereits umfangreich getan. Hier soll vielmehr gefragt werden, was OWS heute, 2 Jahre danach, überhaupt noch für eine Bedeutung hat, was von Occupy geblieben ist.
Siehe auch mein Überblick über einige Bücher zu Occupy

Eine neue Architektur des Protests

Inspiriert von den Ereignissen rund um die Arabische Rebellion und den Protesten in Spanien #15M rief das Magazin Adbusters zu der Besetzung der Wall Street an besagtem 17.September auf, und tatsächlich folgten diesem Aufruf hunderte Protestierende. Deren Enthusiasmus nicht nur im Zucotti-Park zu campen, Versammlungen und Demonstrationen abzuhalten sondern auch der andauernden Provokation und Repression der Polizei zum Trotz auszuharren, stärkte die Bewegung und führte zu ihrer Ausbreitung wie auch zu einem enormen Medienecho. Auch außerhalb der USA berichteten zahllose Medien eifrig über diese immer größer werdende Bewegung und schenkten OWS damit wesentlich mehr Aufmerksamkeit als den meisten anderen Sozialen Bewegungen und Protesten üblicherweise zu Teil wird. Es ist beschämend dass in den Medien kaum über aktuelle Protestbewegungen in Rumänien, Griechenland, Brasilien oder über die immer noch andauernden Proteste in Istanbul berichtet wird und es ist typisch, dass gerade eine amerikanische Bewegung wie OWS so viel Aufmerksamkeit bekam. Doch gerade hier liegt auch die Stärke und Relevanz von OWS. Denn was Proteste wie unibrennt, #15M, u. a. im kleineren Rahmen probierten, gelang OWS im internationalen großen, nämlich einerseits zu zeigen, dass Proteste für eine andere Form der Demokratie nicht nur in arabischen Diktaturen notwendig sind, sondern auch im so genannten Westen und andererseits dass alternative Demokratie- und Protestkonzepte nicht nur eine Sache der Forderung sind sondern in diesen Bewegungen auch aktiv gelebt werden müssen. OWS übernahm zahllose Praktiken des sozialen Protests, alternative Diskussionskonzepte, etc., fügte dem eigene Praktiken hinzu (Human Mic) und machte diese Formen des Protestes bekannt.
In dieser „new architecture of protest” – wie es Bernardo Gutierrez nannte – die in vielen Bereichen auf die Ereignisse vom Mai 1968 in Paris zurückgeht, steht vor allem die Frage nach der Demokratie im Mittelpunkt. Doch wird nicht einfach bloß eine andere Form von Demokratie gefordert, vielmehr wird versucht die Bewegung selbst demokratisch zu leben, das zeigt sich in der gemeinsamen Verwaltung des besetzen Raums, in der Diskussionskultur der Versammlungen und auch in der Organisation der Bewegung, doch vor allem zeigt sich diese Idee einer radikal gelebten Demokratie in der strikten Verweigerung jeglicher RepräsentantInnen, VertreterInnen oder gar AnführerInnen. Der Versuch eine antihierarchische Bewegung ohne SprecherInnen zu initiieren, eine Bewegung die sich der Logik einer modernen massenmedialen Gesellschaft — die andauernd versucht die „Gesichter“ einer Bewegung auszumachen, die Bewegung auf einzelne Personen zu reduzieren — schlicht verweigert, dieser Versuch wurde auch 1968 unternommen. Denn es war der Mai 68, der „von Anfang an ohne Anführer, ohne Hierarchie, ohne Disziplin war“ (Lefort, 51), der aufgrund der Zurückweisung der herkömmlichen Art des Protestes eine Bresche schlug in die damalige französische Gesellschaft gleichermaßen wie in das Denken der politischen TheoretikerInnen jener Zeit. Occupy und die vielen anderen Bewegungen haben ebenfalls eine Bresche geschlagen, eine Bresche in die Massenmedien, eine Bresche in die repräsentative Politik und auch ganz bestimmt eine Bresche in die politische Theorie. Die neue Architektur des Protestes ist eine Architektur, die sich in ihrer Komplexität jeglicher Reduktion entzieht. Es geht nicht darum konkrete Forderungen zu formulieren, VertreterInnen zu wählen um diese zu Verhandlungen zu schicken, bei den Protesten geht es darum Räume für Diskurs zu schaffen, Gemeinschaften zu schaffen, die sich ihrer eigenen Heterogenität bewusst sind. Darum tun sich Medien wie PolitikerInnen so schwer damit diese Bewegungen zu verstehen, denn es gibt nicht einfach VertreterInnen, die man fragen könnte was das alles soll. Die neuen Bewegungen haben schließlich erkannt, „wie entwürdigend es ist, für die anderen zu sprechen“ (Deleuze/Foucault, 91).
Doch bedeutet das keinesfalls, dass sich diese Bewegungen der Kommunikation entziehen würden. Der massive Einsatz neuer Technologien und Medien führte ganz im Gegenteil dazu, dass über den konkreten besetzen Platz hinausgehend so viel und so weit verbreitet kommuniziert wurde wie selten zuvor. Auf den Assambleas, auf den Demonstrationen, auf Twitter, Facebook und über Chats, überall wurde kommuniziert, politisch diskutiert, gestritten und gescherzt, doch stets geschah dies in einer Vielfalt von Stimmen, nie wurde – auch wenn das Human Mic anderes vermuten lassen würde – mit nur einer Stimme gesprochen. Es ist immer ein vielfältiges Stimmengewirr gewesen, stets war der Klang der Proteste ein Rauschen. Ähnliches hat Gilles Deleuze seinerzeit bereits in den 70er Jahren in einem Gespräch mit Michel Foucault beobachtet und an seine Aktualität nicht verloren:

Diejenigen, die handeln und kämpfen, haben aufgehört, repräsentiert zu werden, sei es von einer Partei, sei es von einer Gewerkschaft, die sich anmaßen, deren Bewusstsein zu sein. Wer spricht? Es ist immer eine Vielfalt – selbst in einer sprechenden und oder handelnden Person. Wir sind alle ‚Gruppen’. Es gibt keine Repräsentation mehr, es gibt nur Aktion […] Wenn die Leute darangehen, in ihrem eigenen Namen zu sprechen und zu handeln, so setzen sie nicht der gegebenen Repräsentation eine andere entgegen, sie ersetzen nicht die falsche Repräsentativität der Macht durch eine andere Repräsentativität. (Deleuze/Foucault, 87/92f).

Was bleibt?

Trotz Repressionen gelang es OWS den Park für einige Zeit zu halten und sich auszubreiten und dabei mitsamt der internen Probleme, mit denen jede ähnliche Bewegung zu kämpfen hat, transparent zu bleiben, die internen Diskussionen, die politischen Streitereien, die Flügelkämpfe wurden und mussten unter der Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit ausgetragen werden, doch genau hier liegt die Bedeutung von OWS. OWS hat die neue Architektur der Proteste bekannt gemacht und wie #15M gezeigt, dass auch in „westlichen Demokratien“ Bedarf nach Protest und neuen Vorstellungen von Demokratie besteht. Dies mag nach einem geringen Erfolg ausschauen, doch es geht nicht immer nur darum was sich auf makropolitischer Ebene verändert, welche PolitikerInnen wem wie viel entgegenkommen, usw. Schon bei den Protesten von 68 wurde der Fehler gemacht den Erfolg der Proteste nur auf dieser Makroebene zu messen, doch dagegen schreiben Deleuze und Guattari in den Tausend Plateaus:

Alle, die die Vorgänge [um den Mai 68] nach Begriffen der Makropolitik beurteilen, haben von dem Ereignis nichts begriffen, weil ihnen irgend etwas entging, das nicht einzuordnen war. […] Eine molekulare Strömung hat sich abgespalten, zunächst war sie winzig, dann wurde sie immer größer, ohne deshalb besser eingeordnet werden zu können… Allerdings ist auch das Gegenteil richtig: molekulare Fluchtbewegungen wären nichts, wenn sie nicht über molare Organisation zurückkehren würden und ihre Segmente, ihre binären Aufteilungen in Geschlechter, Klassen und Parteien nicht wieder herstellen würden. (Deleuze/Guattari 1992, 295). 

Was von OWS bleibt sind also einerseits die vielen kleinen Dinge, die vielen Menschen die politisiert wurde in OWS, die sich vernetzt haben, neue Leute kennengelernt haben, den Enthusiasmus des Augenblicks des Aufstandes erlebt haben, die vielen Menschen also die ein Werden erlebt haben. Andererseits bleiben aber auch die Bilder dieser Bewegung, die viele Menschen inspiriert haben, es bleiben kollektive Erfahrungen und kollektive Lernprozesse. Wie Deleuze und Guattari klar machen, kann der Erfolg einer Bewegung nicht alleine auf der molaren Ebene, auf der Ebene der repräsentativen Politik, auf der Ebene der großen politischen Themen gesucht werden. Die Folgen mögen oft klein und unwichtig erscheinen, doch niemand kann sagen, wie diese zahlreichen Bewegungen dieser Jahre in der Zukunft interpretiert werden. Waren es Misserfolge oder war es der Beginn eines globalen Aufstandes? Politischer Protest muss immer auf beiden Ebenen, der molaren wie auch der molekularen Ebene agieren um nachhaltig zu sein.
Alain Badiou hat in seinem lesenswerten Buch über den Arabischen Frühling The Rebirth of History, wie so oft, darauf aufmerksam gemacht, dass all den aktuellen Bewegungen die Institutionalisierung und Organisierung nach dem kurzen Moment des Aufstanda fehlt, nur eine strikte Organisierung (wie sie sich Badiou und Zizek vorstellen) könne nachhaltig wirken. „I maintain that the time of organization, the time of construction of an empirical duration of the Idea in its post-riot stage, is crucial.“ (Badiou, 90) Was Badiou mit seinem sehr engen Organisierungs-Begriff jedoch übersieht, ist das was wirklich bleibt von OWS und all den anderen Bewegungen. Denn die neue Architektur des Protests kündigt eine kulturelle Revolution an, diese Bewegungen zeigen eine neue Art des Widerstandes, eine neue Art der Bewegung, des Aufstandes, der politischen Aktion an, eine heterogene und hierarchieflache Bewegung, die nicht krampfhaft am Leben erhalten werden muss, sondern die immer wieder an anderen Orten und unter anderen Namen auftaucht. Doch die Bilder sind ähnlich und die Verbindungen sind da. Von Tunesien über Ägypten nach Brasilien, von Rumänien über die Wall Street zu den Vorstädten von Paris und London bis nach Istanbul ist es diese neue Architektur des Protests die Demokratie einfordert und vorlebt und Herrschaft in Frage stellt.
In einem Manifest zum 2ten Jahrestag von OWS hat Adbusters, die Zeitschrift mit der OWS begann, einen Begriff zur Beschreibung der Bewegungen ins Spiel gebracht, den Deleuze und Guattari geprägt haben. Die vielfältigen immer wieder auftauchenden Bewegungen seien rhizomatisch verbunden heißt es in diesem Manifest und so ist die Antwort auf die Frage was nun von OWS nach diesen 2 Jahren geblieben ist klar gegeben, es ist das Rhizom des Protests, dass durch OWS gestärkt wurde bekannt gemacht wurde und mitgetragen wird.

In the coming political horizon you can expect that wherever there is a crack, scandal, teacher strike or pipeline deception, you’ll find a hornet’s nest underneath. When you have a connected generation, all of their unique and individual demands are connected, too. Protest becomes a cornucopia, not a straight path. And the desire is not to destroy the system but to hack it, to re-code it, to commandeer it … to see revolution not as pyramid but as a rhizome … to see the system not as an unchanging text but as an ever changing language of computation, an algorithm. Adbusters — Manifesto

Literatur:

Badiou, Alain (2012): The Rebirth of History. Times of Riots and Uprisings. London: Verso.
Lefort, Claude (2008): Die Bresche. Essays zum Mai 68. Wien: Turia + Kant.
Deleuze, Gilles / Foucault, Michel (1977): „Die Intellektuellen an die Macht“. In: dies.: Der Faden ist gerissen. Berlin: Merve, S. 86 – 100.
Deleuze, Gilles / Guattari, Félix (1992): Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II. Berlin: Merve.

Weiterführendes

Die besten von Occupy inspirierten Kunstwerke

Occupy ist sowohl im Netz als auch auf der Straße zum Meme geworden, wie die Leute von Know Your Meme richtigerweise erklären:

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[…] Doch was der Basisdemokratie a la unibrennt und der Verweigerung der Repräsentation gleichermaßen zu Grunde liegt, ist die wichtige Idee mediale, politische und letztlich auch alltägliche Logiken zu unterbrechen. Dass die Verweigerung von SprecherInnen nicht dazu führte nicht mehr zu Wort zu kommen, sondern ganz im Gegenteil zumindest vorübergehend einen der geschäftigsten Presseräume Österreichs hervorbrachte, das hat unibrennt gezeigt. Dass die Medien langfristig nicht mit dieser Verweigerung „StellvertreterInnen-Gesichter“ zu liefern umgehen können, dass wurde ebenfalls deutlich. Doch hat unibrennt als erste Bewegung, die viele dieser radikaldemokratischen Strategien in einem großen Maßstab und öffentlichkeitswirksam eingesetzt hat, durchaus ein anderes Verständnis für diese Form der Politik erwirkt. Wurde unibrennt noch oft belächelt und kritisiert für diese Methoden, wurden ähnliche Methoden von Massenmedien in ihrer Berichterstattung von Ägypten oder Occupy als neue Formen der Politik, neue Formen des Widerstandes gepriesen. (mehr zu diesen neuen Formen des Widerstandes gibt es in meinem Rückblick zu 2 Jahre Occupy) […]

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