Der Philosoph und Kurator Paul B Preciado hat mittlerweile mehrere Texte über das Thema der Stunde verfasst, Texte die bereits in verschiedenste Sprachen übersetzt und durchaus viel geteilt wurden. Preciado beschäftigt das Coronavirus aber nicht bloß als ein gesellschaftliches, biopolitisches aber auch soziales und medizinisches Ereignis, das einen tiefen und wohl unumkehrbaren Einschnitt darstellt. Preciado hat noch einen anderen, direkteren, Zugang zu dieser Frage, denn er erkrankte selbst Mitte März an dem Virus und war damit auch ganz direkt davon betroffen.
Im Folgenden möchte ich einige Argumente aus zwei Texten, die Preciado nach seiner Genesung verfasst hat herausgreifen und diskutieren. Obwohl sich dabei einige interessante Thesen finden lassen, die es wert sind näher diskutiert zu werden, muss ich dennoch gleich vorweg mein Unbehagen mit einigen hochproblematischen Stellen dieser Texte ausdrücken, die ich weiter unten direkt kritisieren werde. Auch wenn viele interessante Thesen zu finden sind, lassen mich diese problematischen Teile des Textes doch fragen, warum Preciados Texte zum Coronavirus bisher eine hauptsächlich positive Rezeption erfahren haben?
Handyapps die die Bewegungen und Kontakte tracken sollen, Home Office um auch in der Isolation produktiv bleiben zu können und neben der Selbstisolation in den Wohnungen die Lenkung der Mobilität all jener die Arbeiten und Einkaufen gehen und all dies neben geschlossenen Grenzen und der Weigerung Refugees aus Griechenland auf andere Länder aufzuteilen. Die Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid19 sind nicht alleine mit den Begriffen der Disziplinargesellschaft, der Biopolitik und des Ausnahmezustands zu verstehen.
Jenseits der Disziplinargesellschaft und des Volkskörpers
In früheren Beiträgen dieser Serie wurde des Öfteren auf Foucaults Begriff der Disziplinargesellschaft/macht und den Kontext in dem er diese Machtverschiebung beschreibt, nämlich die Bekämpfung der Pestseuche, eingegangen. Auch habe ich sowohl Foucaults Konzept der Biopolitik als auch darauf aufbauende Überlegungen über das Potential einer progressiven oder demokratischen Biopolitik beschrieben. Foucaults Arbeiten und besonders diese Konzepte stellen, so sollte gezeigt werden, einen wichtigen Beitrag in den notwendigen aktuellen Diskussionen über das Coronavirus und die Machtverschiebungen durch die Maßnahmen dagegen dar. Theoretiker wie Philip Sarasin haben in den letzten Wochen jedoch immer wieder diesen vielleicht ‚voreiligen‘ Reflex, auf Foucault und seine Begrifflichkeiten zurückzugreifen, kritisiert, nicht zuletzt weil Foucaults Konzepte bereits von ihm selbst sehr klar historisch verortet wurden und daher natürlich die Anwendbarkeit auf aktuelle Ereignisse begrenzt sein muss. (Warum Focucault dennoch zentral bleibt habe ich hier diskutiert)
Dass die Einschließungs- und Selbstisolationsaufforderungen der unterschiedlichen Regierungen keinesfalls gleich den Maßnahmen gegen Pestausbreitung, wie sie Foucault beschrieben hat, sind, ist evident. Auch wenn momentan einiges an Foucaults Studien über die Disziplinargesellschaft und ihre bestimmte Form der Machtausübung erinnert, so müssen wir doch klar feststellen, dass wir nicht mehr in einer Disziplinargesellschaft leben und dies hat sich schon lange vor dem Coronavirus gezeigt. Auch das Bild des kollektiven „Volkskörpers“, das Foucault am Begriff der Biomacht beschreibt, ist heute in Zeiten der Globalisierung zwar immer noch aktiv, aber dennoch verändert. Auf diese Veränderungen und Aktualisierungen der foucaultschen Konzepte haben viele Theoretiker*innen hingewiesen, im Folgenden möchte ich jedoch einen jener Ansätze näher darstellen, den ich für am wichtigsten in der aktuellen Zeit (auch schon vor der Pandemie) halte, nämlich das Konzept der Kontrollgesellschaften von dem französischen Philosophen Gilles Deleuze.
Auch wenn Bifo mittlerweile einen Text üblicher Form im Rahmen der transversal Ausgabe Around the Crown publiziert hat, halte ich dennoch seine aphoristische, vorsichtige und flexible Form der tagbuchähnlichen Einträge für eine der geeignetsten Formen der Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation. Denn in diesen Einträgen mischen sich philosophische Bemerkungen und Thesen, mit Fundstücken aus gerade gelesenen Texten, persönlichen Anekdoten und aktuellen Entwicklungen und spiegeln damit die eigenartige und eben nicht klar trennbare Verwicklung persönlicher Betroffenheit, aktueller Ereignisse und dem Ringen nach einem Denken über das Ereignis, wieder, eine Verwicklung die viele von uns gerade erfahren.
Waren die ersten Einträge noch dominiert von dem Versuch das Ereignis und vor allem das Virus selbst zu verstehen, die massiven Maßnahmen gegen die Ausbreitung einzuordnen und sich mit dieser, vor allem in Italien, plötzlich dramatisch intensivierenden Situation auseinanderzusetzen, ist der zweite Teil der Einträge nun vor allem der Frage wie lange diese Situation unser Leben bestimmen wird gewidmet und was für ein danach es geben kann, besonders wenn man noch nicht einmal weiß wie lange es bis zu diesem danach dauern wird. Der zweite Teil ist auch wesentlich mehr von der persönlichen Situation Bifos bestimmt. Wiederkehrende Motive sind dabei seine Asthmaerkrankung, die Korrespondenzen mit Freund*innen aus aller Welt und verschiedenste Ausschnitte und Zitate aus gerade gelesenen Texten. Doch vor allem geht es Bifo auch in diesen Einträgen Lesen Sie mehr »
Es ist essentiell gerade jetzt in einer Zeit der aufgerüsteten Worte, also dem oft beschworenen vermeintlichen „Krieg gegen den unsichtbaren Feind“, die Verwendung der Sprache und der Begriffe kritisch zu betrachten und zu reflektieren. Damit ist nicht nur das Anwenden verschiedener populärer theoretischer Konzepte auf die Pandemie gemeint, sondern auch die Verwendung von bestimmter Sprache in der politischen und wissenschaftlichen Kommunikation. Für die einen ist die momentane Situation eine täglich neu realisierte Biopolitik, andere sehen den totalitären Ausnahmezustand verwirklicht und andere gefallen sich besonders in der inflationären Verwendung von Virusmetaphern für alle möglichen und unmöglichen Ereignisse. Im Folgenden sollen daher einige dieser momentan häufig verwendeten Begriffe reflektiert, kritisiert oder nachgeschärft werden und dabei wird besonders die Frage ob man nun Foucault lesen soll oder nicht und warum man definitiv nicht mehr Agamben lesen muss, eine wiederkehrende Rolle spielen.
Im Rahmen dieser Serie wurden mittlerweile die unterschiedlichsten Positionen zum Coronavirus von unterschiedlichen Denker*innen kommentiert, und bei all diesen unterschiedlichen Reaktionen interessierte mich immer nicht nur die inhaltlichen Argumente, sondern darüber hinaus interessierte mich stets auch die Form der Reaktion. Wenn es um die Kommentierung oder Analyse eines Ereignisses geht, das sich gerade erst entwickelt, wo nahezu täglich neue Erkenntnisse, Veränderungen, Intensitäten und Entscheidungen auftauchen, ist es unmöglich eine abgeschlossene Analyse zu liefern. Der Kommentar von heute mag morgen schon wieder outdated sein, eine Einschätzung, die gestern noch argumentiert werden konnte mag heute fatal wirken. Diese Unmöglichkeit, so wurde auch in der Serie gezeigt, hält einzelne jedoch keinesfalls davon ab, große und oftmals höchst problematische Urteile abzugeben und trotz der Unmöglichkeit, trotz der ständigen Dynamik der Situation, eine fertige Analyse zu probieren. Diese Versuche scheitern oftmals, wenn auch nicht immer so grandios und vielbeachtet wie bei Agamben. Häufiger jedoch haben wir es mit ersten Einschätzungen und Kommentaren zu tun, die zumeist versuchen entweder bestimmte Begriffe als Verständnis und Kritikhilfe vorzuschlagen, oder bestimmte Fragen als Problematiken in den Diskurs einzubringen. Diese philosophischen Interventionen nehmen dabei zumeist die Form eines Zeitungskommentars oder auch eines knappen Essays an, und ab und zu sind es direkte Repliken auf andere Texte, geschrieben in der Form eines offenen Briefs.
In den literarischen Beschäftigungen, die es bis jetzt, sei es über Social Media oder über z.B. ein Projekt des Grazer Literaturhauses, zum Coronavirus gibt, erfreut sich hingegen zuvorderst eine ganz andere Textform großer Beliebtheit, nämlich die Form der Tagebucheinträge. Tagebucheinträge als literarische Form in der Beschäftigung mit großen Krisen aber auch in Situationen individueller Isolation (Gefängnisaufenthalten z.B.) haben eine lange und spannende Geschichte. In der Philosophie finden sich solche Textformen seltener und heutzutage immer weniger.
Das Ringen um die geeignete philosophische Textform — Tagebuch-Aphorismen
Aus diesem Grund, aber auch aus vielen anderen, ist deswegen die erste publizierte Reaktion (veröffentlicht am 18. März am Verso Verlagsblog) des italienischen Philosophen und Aktivisten Franco „Bifo“ Berardi so außergewöhnlich. Er wählt nämlich eine tagebuchähnliche Form, mit Beiträgen beginnend am 21. Februar (seiner Rückkehr von einer Reise in seine Heimatstadt Bologna) bis zum 13. März. Der erste Eintrag:
Dass die schnell verfassten Kommentare bekannter Philosoph*innen (vor allem Philosophen) zu aktuellen Ereignissen nicht immer gelungen sein müssen, beziehungsweise sogar befremdlich sein können, besonders in Hinblick auf die sonstige Qualität ihrer theoretischen Arbeiten, wurde im Rahmen dieser Reihe schon öfters diskutiert. Die weltweite Pandemie scheint als Nebeneffekt auch ein Magnet der Entblößung oder gar Blamage für angesehene Philosoph*innen zu sein, nicht zuletzt weil naturwissenschaftliche, mathematische und medizinische Einschätzungen gerade eher gewappnet scheinen, die direkten Daten und Entwicklungen beurteilen zu können. Dass philosophische Beiträge jedoch wichtig wären, und viele Begriffe und Konzepte auch in der Einschätzung sowie dem Diskurs darüber helfen können, wurde ebenfalls versucht zu zeigen.
Nach Agamben, Nancy, Butler und Zizek hat sich am 23. März nun auch einer der wichtigsten und einflussreichsten noch lebenden französischen Philosophen zum Coronavirus zu Wort gemeldet, nämlich Alain Badiou. Gerade wenn es um Kommentare zu aktuellen politischen Kämpfen und Bewegungen geht, ist Badiou, nicht zuletzt weil nahezu alle seine Schriften immer um die Frage der Politik kreisen, oft gefragt. Zu einigen der wichtigsten Begriffe seines Werkes habe ich vor einiger Zeit einmal einen Beitrag verfasst, der hier abzurufen ist. Nun also hat sich Badiou auch zum Coronavirus und den mittlerweile weltweiten Maßnahmen dagegen geäußert und sein auf der Verso-Verlagsseite veröffentlichter Text (übersetzt von Alberto Toscano) trägt den schlichten Titel: On the Epidemic Situation. So unaufgeregt der Titel ist, so unaufgeregt beziehungsweise wohl eher abgeklärt und nahezu gelangweilt zeigt sich auch Badiou selbst. Wenn man seinen Kommentar pointiert und etwas überspitzt zusammenfassen möchte, so müsste man wohl schreiben: Die Coronavirus-Pandemie ist weder eine Überraschung, noch etwas Besonderes und wird daher auch keinerlei Einschnitt oder Veränderung, schon gar keine politische in irgendeine Richtung, mit sich bringen.
So wie die Zahl der Artikel und Beiträge nahezu minütlich anwächst und immer schwerer überschaubar wird, so steigt selbstverständlich auch zunehmend die Zahl der philosophischen und theoretischen Beiträge und Interventionen die sich mit der Pandemie und dem Diskurs über Covid19 auseinandersetzen. Um dieser wachsenden Zahl an Beiträgen gerecht zu werden, gibt es in dieser Reihe nun ab und zu auch das Format der „Quicktakes“, also kurzer Anmerkungen zu einzelnen Texten, Anmerkungen, die sich nur auf bestimmte Thesen dieser Texte konzentrieren.
In diesen ersten „Quicktakes“ wird es um eine Reihe an verschiedensten Beiträgen gehen, die alle in direkterer oder indirekter Form die Frage der Normalität stellen. Wie oft hört man momentan, dass man es kaum erwarten kann, wenn endlich alles wieder normal sein wird. Doch dieses Ereignis ist erst am Beginn, noch dazu ist dieses Ereignis zu einschneidend und wie bei einigen anderen geschichtsträchtigen Ereignissen wird es eben daher kein Zurück zu ein „wie davor“ geben können, zumindest nicht so schnell. Demirovic nennt diese Pandemie daher auch eine „Denormalisierungskrise“. Doch welche Normalität wurde hier verloren? Eine Gesellschaft voller Ungleichheiten, Ausschlüssen und Widersprüchen. Diese Ungleichheiten verschwinden nicht durch das Virus, sie werden, wie unlängst näher erläutert, genau gegenteilig noch gravierender. Dennoch könnte es auch die Chance für eine Transformation in eine neue Normalität sein, eine bessere vielleicht, vielleicht aber auch eine autoritärere. Dies ist noch lange nicht entschieden, aber der Kampf darum und die Diskussion darüber sind längst entbrannt. Im Folgenden nun einige Beiträge die Lesen Sie mehr »
Unter dem kurzen, aber dafür sehr direkten Titel: Capitalism Has its Limits publizierte eine der wichtigsten Denkerinnen der USA ihre ersten Einschätzungen und Analysen über den Coronavirus. Veröffentlicht am 19. März, auf dem Verso Verlagsblog befasste Butler sich schon bevor die Pandemie die USA mit der absehbaren vollen Wucht erreichte, mit den Auswirkungen des Virus nicht nur auf die Menschen sondern auch auf den gerade wütenden (Vor)Wahlkampf. Wer nun erwartet dass auch Butler, wie einige andere Philosophen*innen, die hier am Blog schon ausgiebig besprochen wurden (vor allem natürlich Agamben) manche ihrer großen und bekannten Konzepte und Begriffe heranzieht um sie sogleich um das Mega-Ereignisses Coronavirus umzuhängen und das Virus damit auch auf eine gewisse Art zu vereinnahmen, der irrt. Es geht Butler eben nicht darum zu zeigen, dass genau ihre Theorie dieses Ereignis bereits in seiner Vielfältigkeit begreifen und beschreiben kann, sondern Ziel ist die richtigen, sprich politischen Fragen zu finden, die es genau jetzt in dieser so außergewöhnlichen Krise zu stellen gilt.
Butlers Text ist in erster Linie eine klare und kämpferische
politische Analyse, die das Problem Coronavirus aus einer US-amerikanischen
Perspektive betrachtet und zwar vor allem aus der Sicht jener, die in den USA
am wenigsten geschützt sind, jenen die in ihrer Prekarität den Auswirkungen des
Virus aber auch den Maßnahmen gegen den Virus am meisten ausgesetzt sind. Dabei
steht für Butler eben natürlich auch die Frage, was das Virus für den momentan
herrschenden Wahlkampf in den USA bedeutet, im Fokus, denn genau dort spielte
schon vor dem Auftauchen des Virus die Frage nach freier und allgemeiner
Krankenversicherung eine große Rolle, eine Frage die gerade in einer Situation
wie jetzt in ihrer Dringlichkeit nochmal deutlicher wurde.
Welche philosophischen Konzepte schließlich am besten geeignet scheinen, das Ereignis Covid19 zu beschreiben und zu analysieren, wird sich noch zeigen. Der politische Kampf, und hier liegt Butlers Fokus, um die Deutung dieser Krise aber auch für die Lehren und damit einhergehend die Veränderungen die es in Zukunft braucht, dieser politische Kampf muss nicht nur jetzt schon geführt werden, er ist vielmehr schon längst im Gange.
Im Rahmen dieser Reihe wurde schon viel über die Frage von unterschiedlichen (auch progressiven) Biopolitiken geschrieben. Wenn Biopolitik/macht laut Foucault jene Politik ist, die „Leben macht“ stellt sich aber die Frage was Leben und ganz besonders was gesundes Leben überhaupt heißen soll und ob es auf so etwas überhaupt allgemeine Antworten geben kann. In den Auseinandersetzungen mit dem Coronavirus, den Maßnahmen gegen eine schnelle Ausbreitung, den verschiedenen Szenarien der Ansteckung und den zahllosen Statistiken über die extrem unterschiedlichen Krankheitsverläufe, erscheint der Virus als etwas schwer Fassbares.
Es ist unbestritten dass jede*r auf je eigene Weise von dem
Virus und dessen (auch zukünftigen) Auswirkungen betroffen ist, manche direkt
manche zumindest vorerst nur indirekt, manche mehr manche weniger, manche
mehrfach und auf viele unterschiedliche Arten und Weisen und manche (zumindest
bisher) hauptsächlich durch die Maßnahmen gegen die Verbreitung. Der Virus wird
dabei, abgesehen von zunehmend mehr Regionen in Europa, bisher vor allem als
potentielle Krankheit, die bereits ihre Schatten auf uns wirft erfahren. Als
medial vermittelte Krankheit, als Krankheit die man, obwohl man sie hat,
womöglich gar nicht merkt, als Krankheit die wenn man sie hat vor allem für die
Mitmenschen gefährlich ist, als Krankheit, die potentiell jeder andere in sich
tragen könnte, kurz als Krankheit die immer mehr als nur einen selbst betrifft.
Es ist dabei auch und vor allem die Unberechenbarkeit, sowohl was der Virus
individuell für einen bedeutet als auch was er für die Gemeinschaft, die
Mitmenschen und die Gesellschaft in Folge bedeutet, die die Angst und Sorge
erhöhen. Der Virus wird daher von den meisten von uns grundsätzlich anders
wahrgenommen als andere Krankheiten. Doch was ist Krankheit und Gesundheit
überhaupt?
Vielleicht können hier die Überlegungen des Philosophen und Arztes Georges Canguilhem helfen, der sich Mitte des 20. Jahrhunderts mit genau diesen Fragen in seinem bahnbrechenden und weit über die Philosophie hinaus einflussreichen Werk Das Normale und das Pathologische (erstmals 1943) beschäftigt hatte. Canguilhem war besonders für Philosophen wie Foucault, Simondon, Derrida, Althusser und Deleuze ein wichtiger Bezugspunkt. Seine Schriften zur Medizintheorie hatten dabei starken Einfluss auf das Verständnis von Medizin, und genau deshalb könnten auch seine Überlegungen zu dem was Gesundheit und Krankheit eigentlich heißen, auch in dieser jetzigen Situation von Interesse. Im Folgen werden daher Lesen Sie mehr »
Slavoj Žizek hat mittlerweile – wie zu erwarten war – eine ganze Menge an Beiträgen zum Thema der Stunde, oder wohl mittlerweile eher zum Thema des kommenden Jahrzehnts, publiziert. Seinen ersten Beitrag, in dem er sich noch kämpferisch und gerade für seine Verhältnisse überraschend optimistisch zeigte, habe ich im Rahmen dieser Reihe schon kommentiert. Am 16. März 2020 hat Žizek in der Reihe „The Philosophical Salon“ der äußerst empfehlenswerten Online Zeitschrift LA Review of Books einen längeren Beitrag verfasst, der unüblicher Weise auch ganz ohne hollywood-Anspielungen auskommt, und eine Reihe interessanter Punkte einbringt. Schon der Titel ist dabei spannend, einerseits weil er eine Referenz auf den von ihm nicht immer unbedingt verehrten Foucault ist (zu dessen Überwachen und Strafen gibt es ebenfalls hier einen Artikel) und zweitens weil er im Titel schon das momentan allgemein herrschende Begehren nach starker Kontrolle und Disziplinarmacht anspricht: Monitor and Punish? Yes, Please!
Agamben, nicht nur problematisch sondern auch unsinnig
Žizek beginnt seinen Text mit einer relativ langen und ausgedehnten Kritik an Agamben, vor allem dessen ersten Text, der im Rahmen dieser Blogserie ebenfalls schon analysiert und kritisiert wurde. Agambens Idee eines künstlich heraufbeschworenen Ausnahmezustandes, der dazu dienen könnte, die Macht des Staates über die Bewohner*innen auszubauen und zu stärken, wurde vielfach kritisiert, so z.B. auch von Roberto Esposito, der Agamben mahnte, die unterschiedlichen Formen und Praxen des Ausnahmezustands auch unterschiedlich zu beurteilen. Dennoch und dessen ist sich auch Žizek sehr bewusst, wie seine Eingangsfragen und der Titel seines Textes schon zeigen, müssen wir aufmerksam und kritisch bleiben gegenüber den langfristigen Auswirkungen dieses Ausnahmezustandes, den Machttransformationen, die womöglich bleiben könnten (Orban ist hier ein erstes frühes Beispiel) und vor allem auch gegenüber dem momentan immer stärker werdenden Gehorsam und Begehren gegenüber solcher Machtformen Lesen Sie mehr »